Hamburger Anzeiger - Hamburger Polizeiführung weist nach Amoklauf erneut Vorwürfe zurück

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Hamburger Polizeiführung weist nach Amoklauf erneut Vorwürfe zurück
Hamburger Polizeiführung weist nach Amoklauf erneut Vorwürfe zurück / Foto: Tobias SCHWARZ - AFP

Hamburger Polizeiführung weist nach Amoklauf erneut Vorwürfe zurück

Nach dem Amoklauf in einer Hamburger Kirche der Zeugen Jehovas, bei der ein 35-jähriges ehemaliges Mitglied der Gemeinde sieben Menschen und sich selbst erschoss, suchen die Ermittler weiter nach dem Tatmotiv. Zugleich wies die Hamburger Polizeiführung am Dienstag erneut Vorwürfe im Zusammenhang mit der Bearbeitung eines im Januar bei der Waffenbehörde eingegangenen anonymen Hinweises auf den späteren Täter zurück. Dieser hatte die Tatwaffe als Sportschütze legal besessen.

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Es sei nicht auszuschließen, dass der 35-jährige Philipp F. bei der Tat aus "Hass" gegen die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gehandelt habe, sagte der für die Ermittlungen zuständige leitende Oberstaatsanwalt Arnold Keller vor Journalisten. Es könne derzeit aber nicht abschließend gesagt werden, ob darin das Motiv zu suchen sei. Hinweise auf eine etwaige Planung des Verbrechens gebe es bislang nicht "ansatzweise", fügte Keller hinzu.

Nach Angaben des stellvertretenden Leiters der Staatsschutzabteilung des Hamburger Landeskriminalamts, Uwe Stockmann, rekonstruieren die Ermittler derzeit das Leben von F. und befragen dazu zahlreiche Zeugen. Es gebe auch Hinweise auf "psychische Auffälligkeiten", eine fachmedizinische Einschätzung liege jedoch noch nicht vor, betonte Stockmann. Auch ein von dem Täter veröffentlichtes Buch und viele weitere Informationen würden aktuell genau untersucht. "Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen."

F. hatte am Donnerstagabend bei einem Amoklauf in seiner früheren Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg mit einer Pistole sieben Menschen erschossen und neun weitere Menschen teilweise lebensgefährlich verletzt, bevor er sich selbst erschoss. Das Verbrechen löste im In- und Ausland Entsetzen aus.

Nach Ermittlerangaben war F. bis vor eineinhalb Jahren selbst Mitglied der Kirchengemeinde im Hamburger Stadtteil Groß Borstel, verließ diese dann allerdings unter bislang nicht abschließend geklärten Umständen. Er war zudem Sportschütze und als solcher legal im Besitz der späteren Tatwaffe.

Im Januar ging bei der Waffenbehörde, die in Hamburg zur Polizei gehört, ein anonymes Hinweisschreiben ein, demzufolge F. unter einer nicht diagnostizierten oder behandelten psychischen Krankheit leiden sowie Hass auf religiöse Gruppen und einen früheren Arbeitgeber hegen sollte. Das Schreiben enthielt auch einen Hinweis auf ein von F. verfasstes Traktat.

Die Behörde recherchierte nach Polizeiangaben im Internet und rückte bei F. im Februar zu einer waffenrechtlichen Zuverlässigkeitskontrolle an, bei der die vorschriftsmäßige Aufbewahrung von Waffe und Munition geprüft wurde. Weitergehende Maßnahmen seien laut damaligen Sachstand mangels objektiver Auffälligkeiten allerdings schon rein rechtlich gar nicht möglich gewesen, betonte Polizeipräsident Ralf Meyer am Dienstag.

Meyer bestätigte zugleich, dass die Mitarbeiter der Waffenbehörde bei ihrer Internetrecherche auch nach dem vom F. verfassten Buch suchten, dieses aber nicht fanden. Dessen Inhalt spielte demnach im weiteren Verlauf keine Rolle.

Laut Medienberichten breitete F. in seinem seit Dezember im Selbstverlag über eine große Internetverkaufsplattform vertriebenen Traktat namens "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan" quasi-religiöse Thesen aus, etwa zu einer Wiederkehr von Jesus. Es soll zudem antisemitische Passagen enthalten - ebenso wie etwa die Aussage, Adolf Hitler sei dessen Werkzeug.

Meyer räumte ein, der Inhalt des Buchs hätte der Waffenbehörde im Fall der Kenntnis mutmaßlich eine ausreichend Grundlage gegeben, eine psychologische Zuverlässigkeitsuntersuchung von F. auf Basis des Waffenrechts zumindest offiziell anzustoßen. Es sei aber unklar, was sich daraus entwickelt hätte.

Den Mitarbeitern der Waffenbehörde sei kein Vorwurf zu machen, sagte Meyer weiter. Eine Rekonstruktion mit Experten habe ergeben, dass das Buch bei einer einfachen Internetsuche zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich nicht oder nur sehr schwierig zu finden gewesen wäre.

Die Waffenbehörde sei aber eine Verwaltungs- und keine Ermittlungsbehörde. Zudem sei die Rechtslage für Behörden im Zusammenhang mit anonymen Verdächtigungen sehr eindeutig. Diese reichten schlicht nicht aus, Eingriffsmaßnahmen zu rechtfertigen.

Th.Frei--HHA