Hamburger Anzeiger - Angeklagter in Prozess um Messerattacke von Brokstedt weist Vorwürfe zurück

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Angeklagter in Prozess um Messerattacke von Brokstedt weist Vorwürfe zurück
Angeklagter in Prozess um Messerattacke von Brokstedt weist Vorwürfe zurück / Foto: Christian Charisius - POOL/AFP

Angeklagter in Prozess um Messerattacke von Brokstedt weist Vorwürfe zurück

Rund fünfeinhalb Monate nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein hat am Freitag der Mordprozess gegen den mutmaßlichen Täter begonnen. Der 34-jährige Ibrahim A. bestritt die Vorwürfe in einer streckenweise wirren und unzusammenhängenden Aussage vor dem Landgericht in Itzehoe. "Die Anschuldigen stimmen nicht - das ist alles nicht richtig", sagte der Angeklagte dabei aus.

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A. soll laut Anklage am 25. Januar während der Fahrt unvermittelt mit einem zuvor in einem Supermarkt gestohlenen Fleischermesser auf andere Fahrgäste eingestochen haben. Eine 17-Jährige und ihr zwei Jahre älterer Freund starben, vier weitere Menschen im Alter zwischen 22 und 62 Jahren wurden teilweise lebensgefährlich verletzt und dauerhaft entstellt.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschuldigten unter anderem zweifachen Mord und vierfachen Mordversuch vor. Sie geht dabei von Heimtücke und niedrigen Beweggründen aus. A. habe die Taten "zum Zwecke des Abreagierens seiner Frustration und seines Ärgers" über seine damals in vielfacher Hinsicht ungeklärte persönliche Lage verübt, sagte deren Vertreterin Janina Seyfert während der Verlesung der Anklage.

Demnach ereignete sich das Verbrechen während der Rückfahrt des Beschuldigten von einem vergeblichen Behördenbesuch in Kiel, wo der als Schutzsuchender seit 2014 legal in Deutschland lebende staatenlose Angeklagte erfolglos wegen der Verlängerung eines Dokuments vorgesprochen hatte. Er war erst wenige Tage zuvor in Hamburg aus etwa einjähriger Untersuchungshaft entlassen worden und galt als wohnungslos.

Laut Staatsanwaltschaft und Verteidigung wird die Frage der Schuldfähigkeit des Beschuldigten in dem bis Dezember angesetzten Verfahren mutmaßlich eine große Rolle spielen. Laut vorläufiger Einschätzung betrachtet die Anklage A. als schuldfähig und klagte den Fall entsprechend an. Die Verteidigung geht dagegen von einer psychischen Erkrankung aus, die sich auch bei der Tat ausgewirkt haben könnte.

Das schreckliche Geschehen an sich stehe nicht in Frage, sagte Verteidiger Björn Seelbach am Freitag im Prozess. "Es geht hier um die Frage der richtigen Sanktionen." Auch ein Sachverständiger habe A. eine psychotische Störung attestiert, strittig sei aber die Frage der Relevanz während der Tat. Aus rein medizinischer Sicht wäre die Unterbringung in einer Psychiatrie "sicherlich besser", sagte der Anwalt.

Nach Angaben Seelbachs handelte es sich auch bei den Ausführungen des Beschuldigten zu seiner angeblichen Unschuld auch für ihn um eine so nicht vorhersehbare Entwicklung. Während des Ermittlungsverfahrens habe A. die Tat noch eingeräumt. Der Rechtsanwalt sagte zugleich, dass sein Mandant in jüngerer Zeit wegen "Wahrnehmungen", die möglicherweise im Zusammenhang mit seiner Erkrankung stünden, nicht mehr mit ihm sprechen wolle. "Ich hoffe, das ändert sich noch."

A.s Attacken waren laut Anklage während eines Halts des Regionalzugs im Bahnhof von Brokstedt durch die Gegenwehr seines überlebenden letzten Opfers sowie das Einschreiten zweier Zeugen beendet worden. Der 34-Jährige wurde überwältigt und von Polizisten festgenommen. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Die Tat löste Debatten unter anderem um die Sicherheit im Bahnverkehr und den Umgang mit verhaltensauffälligen Strafgefangenen aus.

Auch Kommunikationspannen zwischen den verschiedenen im Lauf der Jahre für A. zuständigen Ausländer- und Sicherheitsbehörden führten zu hitzigen Diskussionen, die Politik beschloss inzwischen Neuregelungen. Der Beschuldigte hatte in verschiedenen Bundesländern gelebt, darunter mehrere Jahre in Nordrhein-Westfalen. Er war polizeibekannt und wegen einiger eher kleiner Delikte vorbestraft. Auch Drogenprobleme standen im Raum. In Haft kam es Behörden zufolge zu Konflikten.

A. galt demnach etwa in Hamburg als schwieriger und teils aggressiver Gefangener. In einem Fall verglich er sich dort bei einer Auseinandersetzung auch mit dem islamistischen Attentäter Anis Amri, der 2016 bei einem Lastwagenanschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen getötet hatte. Es gibt aber keine Hinweise auf islamistische Verbindungen oder einen terroristischen Hintergrund bei der Tat vom 25. Januar. Die Staatsanwaltschaft geht klar vor einem Verbrechen vor persönlichem Hintergrund aus.

O.Meyer--HHA