Zivilisten im Visier - Erschütterung über Angriff auf Theater in Mariupol
Russlands Krieg gegen die Ukraine trifft offenbar immer stärker die dortige Zivilbevölkerung. Der Stadtrat des belagerten Mariupol warf der russischen Armee vor, ein Theater der Stadt mit mehr als 1000 Schutzsuchenden darin bombardiert zu haben. Auch wurden am Mittwoch Angriffe auf einen Flüchtlingskonvoi sowie auf Zivilisten in Tschernihiw und Kiew gemeldet. US-Präsident Joe Biden bezeichnete Kreml-Chef Wladimir Putin als "Kriegsverbrecher".
Der Mariupoler Stadtrat erklärte im Messengerdienst Telegram, im Drama-Theater hätten "mehr als tausend Menschen Schutz gefunden", bevor die russische Armee das Gebäude angegriffen habe. "Wir werden dies nie verzeihen", hieß es weiter.
Bürgermeister Wadym Boitschenko sagte in einem Telegram-Video: "Das einzige Wort, das beschreibt, was heute geschehen ist, ist Genozid". Das Verbrechen sei unfassbar, "wir wollen unsere Augen schließen und den Alptraum vergessen, der heute geschehen ist".
Wieviele Menschen verletzt wurden oder starben, war unklar. Staatschef Wolodymyr Selenskyj vermutete "hunderte" Opfer. Der Eingang des Schutzraums in dem Theater wurde laut Mariupoler Stadtverwaltung "durch Trümmer blockiert". Ein von den Behörden veröffentlichtes Foto zeigte offenbar, dass der mittlere Teil des Theaters völlig zerstört war und dichter Rauch darüber aufstieg.
Dabei war das Theater offenbar als zivile Schutzeinrichtung markiert worden. Auf Satellitenbildern des privaten US-Unternehmens Maxar vom Montag war zu sehen, dass an Vorder- und Rückseite des Gebäudes in großen Buchstaben das Wort "Kinder" auf Russisch auf den Boden schrieben worden war.
Mariupol ist besonders hart umkämpft. Vor dem Angriff auf das Theater hatten die Behörden bereits von mehr als 2000 Todesopfern in der Stadt gesprochen.
Das russische Verteidigungsministerium dementierte den Angriff auf das Theater. Wie schon nach den Angriffen auf eine Geburtsklinik in Mariupol vergangene Woche erklärte Moskau, die Explosion gehe auf das Konto der nationalistischen ukrainischen Asow-Brigade.
Am Mittwoch war nach ukrainischen Angaben nahe Mariupol zudem ein Raketenangriff auf einen Flüchtlingskonvoi verübt worden, bei dem mehrere Menschen starben. Im nördlichen Tschernihiw eröffneten russische Soldaten laut ukrainischer Generalstaatsanwaltschaft das Feuer auf Menschen, die vor einem Lebensmittelladen anstanden. In der Hauptstadt Kiew starben am Mittwochmorgen laut ukrainischem Rettungsdienst zwei Menschen beim Beschuss eines Wohnhauses. Seit Kriegsbeginn wurden nach ukrainischen Behördenangaben 103 Kinder getötet.
Biden bezeichnete Putin am Mittwoch vor Reportern erstmals als "Kriegsverbrecher". Seine Sprecherin Jen Psaki sagte, der US-Präsident habe dies gesagt, nachdem er im Fernsehen Bilder von "barbarischen Taten eines brutalen Diktators durch seine Invasion eines fremden Landes" gesehen habe. Der Kreml krisierte Bidens Wortwahl als "inakzeptabel und unverzeihlich".
Biden sagte der Ukraine zusätzliche Hilfen in Höhe von insgesamt einer Milliarde Dollar (910 Millionen Euro) sowie Unterstützung bei der Beschaffung zusätzlicher militärischer Ausrüstung zu. Zuvor hatte sich Selenskyj in einem emotionalen Appell an die Abgeordneten des US-Kongresses gewandt. Per Videoschalte bat Selenskyj den Westen erneut um die Schaffung einer Flugverbotszone über seinem Land.
Die USA und ihre Nato-Verbündete lehnen dies aus Angst vor einer Ausweitung des Krieges jedoch ab. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warb in der "Bild"-Zeitung (Donnerstagsausgabe) erneut für eine Flugverbotszone sowie für eine "humanitäre Mission" der Nato in der Ukraine. Zugleich rief er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere westliche Staats- und Regierungschefs auf, sich in Kiew persönlich ein Bild von der Lage zu machen.
Die USA, Großbritannien, Frankreich und weitere europäische Staaten beantragten wegen der sich zuspitzenden Lage in der Ukraine für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. "Russland begeht Kriegsverbrechen und nimmt Zivilisten ins Visier", erklärte die britische Vertretung bei den Vereinten Nationen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte, Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen seien mittlerweile "Teil der Kriegsstrategie und -taktik".
Th.Frei--HHA