Ukraine: Russland greift Schule in Mariupol mit hunderten Geflüchteten an
Die Ukraine hat Russland erneut den massiven Beschuss von Zivilisten vorgeworfen, vor allem in der strategisch wichtigen Hafenstadt Mariupol. Die Angreifer hätten dort ein Schulgebäude beschossen, in dem mehrere hundert Menschen Zuflucht gefunden hatten, erklärte die Stadtverwaltung am Sonntag. Behördenvertreter in Mariupol berichteten zudem vom zwangsweisen Abtransport von Einwohnern nach Russland. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte unterdessen mit, die russische Armee habe erneut ihre hochmodernen Hyperschallraketen eingesetzt.
In der Kunstschule G12 hätten sich zur Zeit des Angriffs am Samstag rund 400 Schutzsuchende aufgehalten, "Frauen, Kinder und ältere Menschen", erklärte die Stadtverwaltung. Am Sonntag waren demnach noch Menschen unter den Trümmern eingeschlossen, Angaben zu möglichen Opfern gab es noch nicht.
Am Mittwoch hatten russische Einheiten nach ukrainischen Angaben bereits ein Theater in Mariupol angegriffen, in dessen Keller sich hunderte Einwohner geflüchtet hatten. Dies hatte große internationale Empörung ausgelöst. Abschließende Angaben zu möglichen Opfern in der Theaterruine lagen am Sonntag weiterhin nicht vor, da die Aufräumarbeiten andauerten.
Mariupol wird seit Wochen belagert. Die russische Armee hatte am Freitag erklärt, sie sei in die strategisch wichtige Stadt eingedrungen und kämpfe dort an der Seite von Truppen aus dem Separatistengebiet im ostukrainischen Donezk.
Massiv beschossen wurde auch die südukrainische Stadt Mykolajiw. Sie gilt als "Schutzschild" für die Hafenstadt Odessa, die rund 130 Kilometer westlich liegt. Am Freitag war eine Militärkaserne in Mykolajiw nach ukrainischen Angaben von sechs Raketen getroffen worden. Laut Augenzeugen schliefen dort zu diesem Zeitpunkt rund 200 Soldaten. Es wurden dutzende Tote befürchtet. Ein Soldat sprach von 50 geborgenen Leichen.
Der Leiter der ukrainischen Regionalverwaltung von Donezk, Pawlo Kyrylenko, prangerte unterdessen an, dass Einwohner von Mariupol gegen ihren Willen nach Russland gebracht würden. In speziellen Lagern würden ihre Telefone durchsucht und die ukrainischen Pässe abgenommen. Mehr als tausend Menschen seien so bereits verschleppt worden. Von unabhängiger Seite ließen sich diese Angaben nicht überprüfen.
Mariupol ist von aller Versorgung abgeschlossen. Schon vor zwei Wochen bezeichneten Hilfsorganisationen die dortige Lage als "katastrophal". Die Belagerung werde als "Kriegsverbrechen" noch Jahrhunderte in Erinnerung bleiben, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag.
Auch in anderen ukrainischen Städten im Süden, Osten und in der Umgebung der Hauptstadt Kiew wurde die Lage immer prekärer. Der Nothilfe-Koordinator des Welternährungsprogramms (WFP), Jakob Kern, sagte der Nachrichtenagentur AFP, hunderttausende Frauen und Kinder in eingekesselten Städten könnten nicht mit Hilfsgütern versorgt werden. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind zehn Millionen Menschen auf der Flucht, knapp 3,4 Millionen von ihnen haben das Land verlassen.
Der Bürgermeister der nordukrainischen Stadt Tschernihiw, Wladislaw Atroschenko, schilderte eine "absolute humanitäre Katastrophe" in seiner Stadt. "Dutzende Zivilisten werden getötet, Kinder und Frauen", sagte er im Fernsehen. Es gebe "keinen Strom, keine Heizung und keine Wasserversorgung".
Das Verteidigungsministerium in Moskau gab derweil den erneuten Einsatz hochmoderner Hyperschallraketen bekannt. Nachdem damit am Freitag bereits ein unterirdisches Waffendepot der ukrainischen Luftwaffe zerstört worden sei, habe die russische Armee mit weiteren Raketen vom Typ Kinschal (Dolch) Treibstofflager in der Region Mykolajiw zerbombt. Der Angriff am Freitag war nach Einschätzung von Militärexperten der erste Einsatz von Hyperschallraketen in einem bewaffneten Konflikt jemals.
Russland hat diese Waffen als erstes Land der Welt entwickelt. Die Flugkörper können bei extremer Geschwindigkeit Höhe und Richtung ändern und somit gegnerische Luftabwehrsysteme überwinden.
Das russische Verteidigungsministerium erklärte außerdem, dass mit "Hochpräzisionsraketen" ein Trainingszentrum der ukrainischen Spezialeinheiten in der Region Schytomyr westlich von Kiew beschossen worden sei: "Mehr als 100 Mitglieder der (ukrainischen) Spezialkräfte und ausländische Söldner wurden bei diesem Schlag getötet." Die Ukraine teilte ihrerseits mit, dass ein weiterer russischer General getötet worden sei, bei einem Angriff außerhalb von Cherson.
X.Nguyen--HHA