Ukrainische Truppen in Mariupol richten dramatischen Hilfsappell an die Welt
Nach fast zweimonatigen heftigen Kämpfen steht der strategisch wichtigen ukrainischen Hafenstadt Mariupol die möglicherweise letzte Schlacht bevor. In einem dramatischen Hilfsappell warnte der ukrainische Kommandeur Serhij Wolyna am Mittwoch, seine Truppen sähen "vielleicht" ihren "letzten Tagen, wenn nicht Stunden entgegen". Die EU sicherte der ukrainischen Regierung weitere Unterstützung bei der Verteidigung gegen die russischen Truppen zu.
Moskau hatte den ukrainischen Soldaten ein neues Ultimatum gestellt, das am Mittwochmittag ablief. Wenige Stunden vor Verstreichen der Frist richtete der Kommandeur Wolyna einen verzweifelten Hilferuf an "alle Anführer der Welt". Sie sollten die in einem Stahlwerk verschanzten ukrainischen Soldaten aus Mariupol herausholen und in einen "Drittstaat" bringen. "Der Feind ist uns in einem Verhältnis von 10:1 überlegen", betonte Wolyna in einem Facebook-Video.
Die Anlage des Konzerns Asow-Stahl hat zahlreiche unterirdische Tunnel. Ein Berater des Bürgermeisters von Mariupol beschrieb die Lage dort als "grauenvoll". Bis zu 2000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, seien dort ohne "normale" Versorgung mit Trinkwasser, Essen und frischer Luft.
Ein Kommandeur des nationalistischen ukrainischen Asow-Bataillons, Swjatoslaw Palamar, schrieb auf Telegram von massiven russischen Bombenangriffen auf das Asow-Stahl-Werk, die teils von Schiffen aus ausgeführt würden. "Die Situation ist kritisch, wir appellieren an die internationalen Staatschefs, den Kindern zu helfen."
Nach Angaben der ukrainischen Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk einigte sich Kiew mit den russischen Truppen erstmals seit Samstag auf einen Fluchtkorridor für Zivilisten aus der heftig umkämpften Hafenstadt. Sie sollen nach Saporischschja gebracht werden.
Der Fall Mariupols wäre ein wichtiger strategischer Sieg für Russland. Die Einnahme der Hafenstadt würde es Russland ermöglichen, einen durchgehenden Korridor vom Donbass zu der 2014 annektierten Krim-Halbinsel herzustellen.
Auch in anderen Teilen der Ostukraine gingen die Kämpfe weiter. Einen russischen Angriff in der Stadt Isjum südlich von Charkiw schlug die ukrainische Armee nach eigenen Angaben zurück. Die russischen Streitkräfte erklärten ihrerseits am Mittwoch, sie hätten 73 Luftangriffe in der Ukraine geflogen.
Moskau hatte am Dienstag von einer "neuen Phase" des Konflikts gesprochen. Nach Darstellung Kiews begann Russland mit seiner seit Wochen erwarteten Großoffensive in der Ostukraine.
Angesichts der Lage will der Westen die militärischen und finanziellen Hilfen für Kiew nochmals verstärken. "Sie sind nicht allein, wir sind bei Ihnen und wir werden alles tun, um Sie zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt", betonte EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Bundesaußenministerin Annalena Barbock (Grüne) sicherte Kiew Unterstützung bei der militärischen Ausbildung und Wartung zu. Panzerlieferungen seien kein Tabu für die Bundesregierung, "aber kurzfristig ist bei uns nichts vorhanden, was wir jetzt wirklich schnell und unverzüglich liefern können", sagte sie bei einem Besuch in Riga.
Die USA bereiten laut Medienberichten ein weiteres militärisches Hilfspaket für die Ukraine im Volumen von 800 Millionen Dollar (741 Millionen Euro) vor. Angaben zur angeblichen Lieferung von Kampfjets aus dem Ausland an die Ukraine korrigierte Washington am Mittwoch. "Ich habe mich getäuscht", sagte Pentagon-Sprecher John Kirby mit Blick auf eigene Äußerungen vom Vortag. Die Ukraine habe "nicht ganze Flugzeuge aus einem anderen Land erhalten", sondern "Ersatzteile und zusätzliche Ausrüstung".
Kiew hat die Nato wiederholt zur Lieferung von Kampfflugzeugen aufgefordert. Derartige Lieferungen gelten jedoch als heikel. Befürchtet wird, dass eine Übergabe von Kampfjets an die Ukraine durch die Nato von Russland als Eskalation wahrgenommen werden könnte.
Einen neuen diplomatischen Anlauf will UN-Generalsekretär António Guterres starten. Wie sein Sprecher am Mittwoch mitteilte, bat Guterres Kreml-Chef Wladimir Putin und den ukrainischen Präsidenten Selenskyj darum, ihn zu Gesprächen in Moskau und Kiew zu empfangen.
M.Huber--HHA