Afghanistan-Ausschuss: Scholz mahnt Lehren an - Kramp-Karrenbauer räumt Fehler ein
Als Lehre aus dem Krieg in Afghanistan hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) künftig realistische Ziele bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gefordert. "Es ist wichtig dass man seine Möglichkeiten richtig einschätzt", sagte Scholz am Donnerstag in seiner Befragung vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Zuvor hatte die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in ihrer Befragung Fehler eingeräumt - vor allem bei der späten Evakuierung der afghanischen Ortskräfte während des raschen Vormarschs der radikalislamischen Taliban im August 2021.
Der Afghanistan-Ausschuss erörtert seit Juli 2022 die genauen Umstände der Evakuierungsmission, um mögliche Fehler zu benennen und Lehren für die Zukunft zu ziehen. Scholz wurde in der öffentlichen Sitzung mehrere Stunden lang befragt, weil er damals Finanzminister und Vizekanzler in der großen Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war.
Scholz betonte, dass er in seinen Ämtern nur am Rande mit den Geschehnissen in Afghanistan zu tun gehabt habe. Dennoch habe er Lehren aus den Vorgängen gezogen. So seien etwa die Nationenbildung, also der Aufbau stabiler staatlicher Institutionen und Strukturen, "nicht das, was uns in solchen Einsätzen besonders gut gelingt".
Nach seiner persönlichen Einschätzung habe "die fast kampflose Aufgabe des Landes durch die Regierenden auch sehr viel damit zu tun hat, dass dieser Prozess gar nicht funktioniert hat", sagte Scholz zu dem raschen Vormarsch der Taliban. So habe es keinen nennenswerten staatlichen Widerstand gegeben.
Bei ähnlichen Militäreinsätzen müssten künftig zuverlässige Lagebilder gefertigt werden, die die Entwicklung vor Ort realistisch abbilden, forderte der Bundeskanzler. Damit bezog sich Scholz auf Kritik an der späten Evakuierung von mehreren Tausend von Deutschland beschäftigten Ortskräften aus Afghanistan.
Trotz der Versäumnisse der deutschen Behörden hält Scholz den Einsatz in Afghanistan rückblickend für "berechtigt". Er räumte jedoch ein: "Die Frage ist, ob es richtig gewesen wäre, rechtzeitiger über einen Exit zu diskutieren." Möglicherweise hätten die afghanischen Streitkräfte dann eher in die Lage versetzt werden können, den Taliban Widerstand zu leisten, gab Scholz zu bedenken. "Aber das ist im Nachhinein schwer zu beurteilen."
Zuvor war Ex-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer befragt worden. Diese gab selbstkritisch zu, dass die Bundesregierung damals in einigen Punkten schneller hätte handeln müssen. Das betreffe insbesondere die Evakuierung der Ortskräfte.
Kramp-Karrenbauer erinnerte sich an eine "sehr dynamische Lage" bei der Evakuierung. Täglich seien die Listen mit außer Landes zu bringenden Menschen erweitert worden. Als Verteidigungsministerin habe sie unter anderem mit Kanzlerin Merkel und Außenminister Heiko Maas (SPD) mehrmals darüber beraten. Die Evakuierung aller Betroffenen sei in der Eile aber nicht mehr möglich gewesen. Laut Bundeswehr wurden insgesamt 5347 Menschen außer Landes gebracht, viele Ortskräfte mussten aber zurückgelassen werden.
Sie und ihr Ministerium seien damals angesichts des Vormarschs der Taliban "von Anfang an die Pessimistischsten" in der Bundesregierung gewesen und hätten immer wieder auf die Vorbereitung auf das Worst-Case-Szenario der Taliban-Rückkehr gedrängt, betonte Kramp-Karrenbauer. Dies sei womöglich nicht ausreichend passiert, räumte sie rückblickend ein: "Ich hätte mir gewünscht, dass wir an manchen Punkten schneller gewesen wären."
Laut Kramp-Karrenbauer hatte die damalige Bundesregierung aus Union und SPD die Machtübernahme der Taliban bereits länger vor der Evakuierungsoperation als eine realistische Option angesehen, allerdings nicht in diesem Tempo. "Es war nicht zu erwarten, dass Kabul so früh fällt", sagte sie.
Die Fehler sieht Kramp-Karrenbauer vor allem auf politischer Seite. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hätten "das Bestmögliche" aus den politischen Aufträgen und Entscheidungen gemacht, sagte sie. Die Mission habe "unter einer sich stetig verschlechterten Sicherheitslage und damit auch unter Zeitdruck" stattgefunden.
Die Anhörungen von der früheren Kanzlerin Merkel und Ex-Außenminister Maas sind im Ausschuss für Dezember geplant. Zuletzt hatte unter anderem bereits Ex-Innenminister Horst Seehofer (CSU) auf dem Zeugenstuhl gesessen. Der Ausschuss will noch vor der Zusammensetzung des neuen Bundestags im kommenden Frühjahr seinen Abschlussbericht vorlegen.
J.Berger--HHA